Christoph Höbenreich führt seine achte Antarktisexpedition ins wenig erforschte Otto-von-Gruber-Gebirge in den Wohlthatbergen. Gemeinsam mit den expeditionserfahrenen österreichischen Bergführerkollegen Tom Rabl und Robert Miller sowie der deutschen Expeditionsärztin Katrin Oertelbestieg das Team in drei Wochen neun Gipfel, davon sieben Erstbesteigungen. Höhepunkte sind die Besteigung des Ritschergipfels und des Zuckerhuts sowie die Eroberung von „Bergführerspitz“ und „Mentzelberg“. Die Expedition betont den respektvollen Umgang mit der unberührten Natur, während die Region für den Schutz von Schneesturmvögeln möglicherweise für Bergsteiger gesperrt wird. Ein Plädoyer für den nachhaltigen Erhalt dieser einzigartigen Berge.
Seine achte Pionierexpedition in die Ostantarktis führt den Tiroler Berg- und Polarführer Christoph Höbenreich gemeinsam mit den expeditionserfahrenen österreichischen Bergführerkollegen Tom Rabl und Robert Miller sowie der deutschen Expeditionsärztin Katrin Oertel in das alpinistisch noch kaum erforschte Otto-von-Gruber-Gebirge in den WohlthatbergenKönigin-Maud-Lands. Das Gebirge wurde 1939 von der Deutschen Antarktischen Expedition mit Dornier-Wal-Flugbooten, die vom Mutterschiff Schwabenland vor der Schelfeisküste abkatapultiert wurden, aus der Luft entdeckt und dokumentiert. Benannt wurde es nach dem Kartographen mit österreichischen Wurzeln Otto von Gruber, der die ersten topographischen Karten der Gebirgsregion Neuschwabenland anfertigte. Die Expedition ist ein voller Erfolg. Insgesamt kann das Team in drei Wochen im November 2024 neun Gipfel besteigen, sieben davon als Erstbesteigungen.
Am 6. November 2024 wird mit dem Ritschergipfel(2791 m), der höchste Berg des Gebirges über eine neue Route durch die bis zu 55 Grad steile Eisrinne an der Ostflanke bestiegen und dabei erstmals auch der Ritscher-Ostgipfel (2700 m) erreicht. Nach Christophs Zweitbesteigung auf den Tag genau ein Jahr zuvor ist es die erst dritte Besteigung und die dritte Route auf diesen Berg. Das Erlebnis, auf diesen exklusiven Gipfeln zu stehen, ist überwältigend. Die Fernsicht reicht in der glasklaren Luft über 200 Kilometer weit und bis auf das Südpolarplateau, von wo ein eisiger Wind mit Temperaturen von unter minus dreißig Grad Celsius weht. Der majestätische und weithin sichtbare Berg wurde erstmals 1991 von den beiden Wissenschaftlern der ehemaligen DDR-Forschungsstation Georg Forster in der Schirmacher Oase Wieland Adler und Gerold Noack vom Untersee ausgehend über seine Nordwestseite bestiegen.
Über einen anmutig geschwungenen und bis zu 60 Grad steilen Schneegrat und bei klirrend kalten Bedingungen besteigt das österreichisch-deutsche Team als zweite Expedition zwei Tage später den Schnee- und Vorgipfel des Zuckerhuts (2468 m), wie die deutschen Entdecker den imposanten Berg 1939 aufgrund seiner – von Nordwesten gesehen – abgerundeten Kegelform und seinem ebenmäßigem Weiß benannten. Dieser und der noch etwas höhere Fels- und Hauptgipfel (2525 m) wurde bereits am 4. Dezember 2013 durch die Finnen Patrick Degerman und Pekka Holma erklettert.
Trotz anfangs sehr stürmischer Verhältnisse gelingt die Besteigung eines großen, namenlosen Berges weiter nördlich, der den beschreibenden Namen Breitwand (2362 m) erhält. Im Bastei-Massiv sticht dann ein markanter, spitzer Felsturm ins Auge, den Tom und Robert am 11. November über das steile Südwest-Couloir erstbesteigen und Tom und Christoph am 17. November über den Gletscher von Osten und über seine bis zu 60 Grad steile Gipfelschneeflanke und eine ausgesetzte Seillänge im dritten Schwierigkeitsgrad erreichen. Da der spektakuläre Gipfel von allen drei Bergführern im Team bestiegen wurde, vor allem aber als Hommage an die Leistungen aller Bergführer bei der wissenschaftlichen Erforschung der antarktischen Gebirge, erhält er den Namen Bergführerspitz (2325 m).
Am 12. November lockt der atemberaubend schöne Mentzelberg (2330 m) bei prächtigem Wetter und seltener Windstille mit seinem zerklüfteten Eisfall, seiner über 50° steilen Westwand und seinem buchstäblich punktförmig spitzen Gipfel. Tom, der auch Präsident des Tiroler Bergsportführerverbandes ist, übernimmt zur Routenfindung auch an diesem Berg wie bisher bewährt die Führung. Der Name des Berges regt aber zum Nachdenken an. Anstatt heute noch an einen Nazi-Funktionär, Mitglied der SS und NSDAP und einen der einflussreichsten Wissenschaftspolitiker des Dritten Reiches zu erinnern, der seinerzeit aufgrund seines Einsatzes zum Zustandekommen der Deutschen Antarktischen Expedition namentlich in der Antarktis verewigt wurde, würde sich das Team um Expeditionsleiter Christoph Höbenreich wünschen, den Berg in „Friedensgipfel“ umzubenennen. Ein Zeichen und eine Qualität, die in unserer heutigen Welt und auch in der Antarktis, dem Kontinent des Friedens und der internationalen Zusammenarbeit, mehr denn je benötigt wird.
Am 14. November besteigen die vier Polarbergsteiger bei stürmischem Wetter und schlechter Sicht die Bastei (2460 m) über den spaltenfreien Gletscher am Gipfelplateau. Der Name des Berges stammt von einer berühmten Felsformation des Elbsandsteingebirges am Ufer der Elbe in der Sächsischen Schweiz. Am Abend des 17. November besteigen Tom und Robert die Bastei ein zweites Mal auf einer neuen Route über eine spektakuläre, 55 Grad steile, diagonale Eisrinne durch die Südwand, während Katrin und Christoph die Erstbesteigungsroute wiederholen und das herrliche Licht der tief stehenden Polarsonne und die phantastische Aussicht auf den fast zweitausend Meter unter ihnen liegenden Untersee genießen. Bastei und Mentzelberg waren zwei der bemerkenswertesten, noch unbestiegenen Gipfel der Antarktis.
Am Morgen des 17. November, während Tom und Christoph die neue Route von Osten auf den Bergführerspitz klettern, steigen Katrin und Robert etwa 7 Kilometer vom Lager auf einen unbenannten Berg mit mehreren Felsaufschwüngen, der naheliegenderweise oberhalb des von Norwegern benannten Asimutbreen (Azimutgletscher) liegend den Namen Azimutgipfel (2130 m) tragen könnte.
Auch wenn Bergsteigen anarchisch ist und keine Gesetze kennt, sind sinnvolle Verhaltensregeln zum Schutz der Hochgebirgswildnis gerade in der Antarktis wichtig. Daher achteten auch Christoph und sein Team bewusst darauf, sie so rein und unversehrt wie möglich zu verlassen, keine Abfälle zurückzulassen und alles Mitgebrachte wieder mitzunehmen. Selbst das, was vorher gegessen wurde. Die Pioniertouren könnten jedoch die letzten privaten Besteigungen im Otto-von-Gruber-Gebirge gewesen sein. Deutschland plant nämlich, das gesamte Gebirgsmassiv zum „Schutz“ der Schneesturmvögel, die seit Jahrtausenden weit abseits der Berggipfel an den Ufern des gefrorenen Untersees brüten, als Antarctic Special Protected Area (ASPA) auszuweisen und unter „Schutz“ – vor was und wem auch immer – zu stellen und damit auch für Bergsteiger pauschal zu sperren. Da man aber nur wertschätzt und bewahrt, was man kennt und einem am Herzen liegt, wäre es wünschenswert, den Zugang zu einigen der wohl schönsten Berge Antarktikas nicht zu verwehren, sondern vielmehr nachhaltig zu erhalten. Vor allem für künftige, ebenso vorsichtige, naturliebende und entdeckungsfreudige Bergsteiger.
Bericht und Bilder: Christoph Höbenreich (christoph.hoebenreich@aon.at)