Was wirklich zählt
In meiner „Sturm und Drang Zeit“ kletterte ich oft alles, was mir unter die Finger kam. Große Namen waren mir wichtig und je mehr man sich gefürchtet hat, desto besser. Aber mit zunehmendem Alter und familienbedingt weniger freier Zeit zum Klettern wird man wählerischer. Der Anspruch an die Routenwahl hat sich stark geändert und eigene Linien zu erschließen, gehört mittlerweile für mich zum Besten, was der Klettersport zu bieten hat. Dabei ist der gesamte Prozess für mich wichtig – von der Suche nach einer schönen Wand mit gutem Felsen, dem Finden einer interessanten Linie, dem Erstbegehen selbst und schlussendlich dem Klettern der eigenen Tour. Das Beste für mich dabei ist, wenn auch andere meine Touren wiederholen und sie ihnen gefallen.
Idee und Umsetzung
Ich kannte die Repswand im Nordtiroler Karwendel durch Wiederholungen von zwei tollen Touren von Reini Scherer. Zwar war Heinz Zak schon in den 80iger-Jahren dort ein paar klassische Linien geklettert, diese gerieten aber bald in Vergessenheit. Erst Reini Scherer erweckte diese Wand zu einem späteren Zeitpunkt aus ihrem Dornröschenschlaf und hinterließ mit seinen dort eröffneten Linien perfekte Touren in bestem Felsen für Wiederholer mit hohen Ansprüchen. Dabei stimmen in diesem Gebiet alle Faktoren wie ein verträglicher Zustieg mit dem Rad (bzw. dann noch kurz zu Fuß), die grandiose Felsqualität, die sommertaugliche Wandausrichtung und die tollen Touren. Vor allem die Route „Single Trail“ sticht als Neoklassiker heraus und wird (zu Recht) entsprechend oft wiederholt. Die große Unbekannte, die große Platte, blieb jedoch bis dato unbeachtet und unberührt. Nach genauem Wandstudium wollte ich es einfach wissen und hier mein Glück versuchen.
Als Partner für dieses für mich anspruchsvolle Vorhaben kam da nur mein Freund Klaus in Frage. Mit ihm verbinden mich viele schöne Tage im Fels und auch einige im Eis und im Schnee – wir verstehen uns einfach blind. Somit gingen wir dieses Projekt im Sommer 2019 an. Nach drei Tagen Bohrarbeit konnten wir die direkte Linie von unten einbohren und uns glücklich und zufrieden die Hände schütteln. Auf Grund der zu erwartenden Schwierigkeiten der direkten Linie entschlossen wir uns noch beim Abseilen, eine zusätzliche Umgehungsvariante „light“ linkerhand (von oben) einzubohren. Leider schafften wir es terminlich nicht mehr, im selben Jahr einen Kletterversuch in „unserer Linie“ zu starten.